Immenstadt – Bei einem Kochabend in Immenstadt bringen Menschen mit Migrationshintergrund den Teilnehmenden die Küche ihres Landes bei. Deutsche Hobbyköche werden hier zu Lehrlingen und Einwanderer zu Chefs. Das ist für beide Seiten ungewohnt. Über Sprachbarrieren, ein bemerkenswertes Gemüse und kulturelle Verständigung, die durch den Magen geht.
Mohamad Saad steht vor einem Tisch und streckt seinen rechten Arm in die Luft. Seine Faust hält die Henkel einer durchsichtigen Plastiktüte umklammert. 27 Augenpaare fixieren ihn. Er dreht die Tüte auf den Kopf und lässt ihren Inhalt wie trockenes Laub in eine große grasgrüne Schüssel vor ihm auf dem Tisch rieseln. „Molokhia“, sagt er und blickt in ratlose Gesichter. „Libanesischer Spinat“, ergänzt er, „sehr gesund“.
Bei „Gemeinsam kochen“ in Immenstadt im Allgäu bereiten Menschen mit ausländischen Wurzeln mit anderen Kochbegeisterten Gerichte ihres Heimatlandes zu. Heute findet die Veranstaltung des Vereins „Miteinander im Oberallgäu“ zum sechsten Mal statt. Diesmal wird libanesisch gekocht. Drei Gerichte stehen auf dem Menüplan. Eintopf mit Hühnchen in besagtem Molokhia, dazu Reis mit angebratenen Fadennudeln, Falafelsandwiches und ein Hackfleisch-Kartoffel-Auflauf. Es haben sich so viele Teilnehmer wie noch nie angemeldet.
Gastkoch Mohamad hat sich für diesen Anlass extra schick gemacht: Beige Stoffhose, dunkelblaues Hemd, beige Schiebermütze. „Für Haare“ sagt der Libanese mit den großen freundlichen Augen und tippt lachend auf seine Kappe. Er bindet sich eine schwarze Schürze um, auf der in vertikaler weißer Schrift „Drinking, Cocktails, Eating“ zu lesen ist, und setzt zu einem längeren Monolog über die umfassenden Heilkräfte des arabischen Spinats an. Der sei sehr gesund, helfe bei Verstopfung, Stress, eigentlich bei allem. Die Hobbyköche, viele davon grauhaarig und weiblich, drängen sich in dem viel zu engen Gruppenraum um drei Esstische und hören brav zu, ihre Schneidebretter und Messer schon einsatzbereit vor sich liegend.
Was das für ein komischer Spinat sei, wundert sich eine ältere Dame. Ihre junge Sitznachbarin zückt das Smartphone, googelt und sagt: „Die Pflanze heißt auf Deutsch Langkapselige Jute oder Muskraut. Molokhia wird auch arabischer Spinat genannt, weil er gekocht ähnlich aussieht.“ „Muss kontrollieren, Äste und gelbe Blätter weg“, erklärt Mohamad den Teilnehmern. Nach dem Verlesen solle der Molokhia eingeweicht und mehrmals gewaschen werden.
Außerdem sollen sie Tomaten, Essiggurken, Paprika und Frühlingszwiebeln zerkleinern, Knoblauch und Petersilie hacken, aber die Kichererbsen auf keinen Fall anrühren. „Falafelteig muss ich machen“, sagt Mohamad energisch, „kleine Fehler und hält nix mehr!“ Vor 30 Jahren kam Mohamad Saad nach Deutschland. Damals herrschte im Libanon Bürgerkrieg. Seit 25 Jahren lebt der Vater von vier Kindern in Immenstadt. Über seine Flucht möchte Mohamad nicht sprechen. „Heute soll es nur um Kochen gehen“, sagt der 56-Jährige, der nie einen Deutschkurs besucht hat. Er wolle nicht zurück, sondern nach vorne blicken. „Ich bin jetzt endlich glücklich, habe viele Freunde, nette Nachbarn.“
Die deutschen Kochschüler haben viele Fragen. Wie viel Salz kommt ins Hackfleisch? In welchem Verhältnis müssen Wasser und Tahin gemischt werden? Frischer oder getrockneter Koriander? Mohamad rennt von einem Tisch zum anderen, erklärt, kontrolliert. Er steuert auf eine Frau mittleren Alters zu, die unschlüssig vor einer großen Schüssel steht. Mohamad nimmt die Schüssel mit dem Hackfleisch an sich, gibt Salz und Zwiebeln hinein.
„Jetzt kommt Petersilie, bringen Sie!“, kommandiert er. Die Frau schiebt die gesamte gehackte Petersilie von einem Brettchen in das Fleischgemisch. „Nicht so viel.“ Mohamad perlt der Schweiß auf der Stirn, seine Wangen sind errötet. Gestresst schaufelt er die überflüssige Petersilie wieder zurück auf das Schneidebrett. Er knetet mit der Hand Hackfleisch, Zwiebeln und Salz zu einer Masse, betrachtet das Ergebnis und schüttet die restliche Petersilie von vorher wieder dazu.
In dem circa 25 Quadratmeter großen Raum zwängen sich die Teilnehmer aneinander vorbei, um von ihren Plätzen zur Küchenzeile und zurück zu gelangen. Einem älteren Ehepaar wird es zu viel. Sie packen ihre Sachen und gehen. Mohamad kriegt davon nichts mit. „Jetzt Spinat fertiggekocht, muss Spinat abtropfen“, ruft er. Ein paar Hobbyköche nicken. Abtropfen, das kann nicht so schwer sein. „Nein, nicht so, schau, so!“, greift Mohamad ein. So anstrengend hat er sich das nicht vorgestellt. Mohamad ist seit 5 Uhr auf den Beinen, er arbeitet als Schulbusfahrer. Zwischen den Schichten hat er für den Abend eingekauft.
Den interkulturellen Kochabend gibt es seit Mai 2022. Die zwei Organisatorinnen, die sich bei einem Anti-Rassismus-Workshop kennengelernt haben, wollten Menschen unterschiedlicher Herkunft und sozialer Schichten an einen Tisch bringen. Beim gemeinsamen Kochen, so sagen die Frauen, begegneten sich Einheimische und Ausländer auf Augenhöhe. „Bitte kleiner schneiden“ hört man da Mohamad am Nebentisch sagen. Sofort macht sich eine junge Frau daran, die geviertelten Gurkenscheiben in Sechzehntel zu zerkleinern.
Unterdessen hat der hintere Tisch Mohamads Anweisungen ignoriert und doch schon mit dem Falafelteig begonnen. Aber jetzt klemmt der Mixer. Mohamad wird zur Schadensbegrenzung herbeigerufen. Ein bisschen mehr Wasser, dann dreht sich die Sache wieder. Am Nebentisch liegen die Fladenbrote für die Falafelsandwiches schon bereit. „Wer hat das aufgemacht?“, will Mohamad wissen, denn die Plastikverpackung fehlt, „wird trocken“, schimpft er. Eine der Organisatorinnen eilt herbei und stülpt eine Schüssel über den Brotturm.
Da ruft Mohamad: „Bitte Reis kochen, doppelte Wasser!“ Doch in der Küche gibt es ein Problem. Mohamads mitgebrachte Töpfe werden auf der Induktionsherdplatte nicht richtig heiß. Eine der Organisatorinnen hat noch Ersatztöpfe dabei. Umständlich füllen die Hobbyköche unter Anleitung von Mohamad die Gerichte von den alten in die neuen Töpfe um. Eine Viertelstunde später köcheln Reis, Molokhia und Hühnchen endlich vor sich hin. I
m Ofen gart der Kartoffel-Hackfleisch-Auflauf. Mohamad erklärt einer zierlichen älteren Dame, wie der Falafelportionierer funktioniert, den er mitgebracht hat. Er nimmt mit einem Löffel eine kleine Portion der Falafelmasse auf, urteilt „zu viel Wasser drinnen – nicht gut“ und streicht den Teig, wie Eiscreme auf eine Waffel, oben auf den Portionierer. Mit einem Hebel drückt er die Masse in einen Topf mit heißem Fett. Die umstehenden Hobbyköche sind begeistert. Einige möchten das Gerät einmal ausprobieren.
Ihre Falafelsandwiches füllen die Kochschüler souverän, den Vorgang kennen die meisten von der Dönerbude. Dann werden die Tische zu einer langen Tafel zusammengerückt, Besteck und Teller aufgedeckt und die anderen Gerichte serviert. Zum ersten Mal an diesem Abend kehrt Ruhe ein. „Essen verbindet“, sagt eine Organisatorin, „es ist ein Grundbedürfnis der Menschen.“ Dann bespricht sie sich mit ihrer Kollegin.
Die beiden Frauen beschließen, die Teilnehmerzahl der Kochabende künftig zu begrenzen: „Es ist sonst einfach zu wenig Platz.“ Einige Teilnehmer hatten Beschränkungen gefordert. „War stressig“, zieht Mohamad Bilanz, „hier viele kochen große Menge, wenn in Familie, dann besser.“ Molokhia, sagt er, helfe übrigens auch bei Migräne, Verstopfung und Bluthochdruck.